Klick: Im Gespräch mit Ann Cotten

By , and | 1 September 2013

JB: In ‘Etwas Mehr’ verwenden Sie ein Wort, zu dem ich Sie etwas fragen wollte.

‘Dass der Ernst nur, wenn er spielerisch, relativistisch, experimentell,
autoreflexiv gehandhabt wird, nicht unterkomplex ist, und umgekehrt
(keine billige Umkehrung, sondern eine Schraubendrehung weiter
((Handkuss an Serner))) muss dieses Spiel mit einem Riesenernst, mit
dem Einsatz von nichts weniger als der gesamten eigenen Existenz
betrieben werden.’

Ich meine das Wort ‘Schraubendrehung’. In welcher Weise ist die Schraubendrehung wichtig für eine Umkehrung?

AC: Entschuldige bitte, aber ich verstehe nicht, was Sie damit sagen wollen. Könnten Sie die Frage bitte auf Englisch neuformulieren?

JB: Als sie am Schluss Ihres Essays auf die Umkehrung der Dichtung zu sprechen kommen, sagen Sie, dass es keine billige Umkehrung sein kann, sondern eine Schraubendrehung weiter.

Ich interpretiere diese Unterscheidung dahingehend, dass das Billige das Einfache ist, ein Fehl an Handwerklichkeit, während diese Schraubendrehung die richtigen Werkzeuge benötigt, die Kraft weiter zu schrauben, um es fester oder lockerer zu machen während es Schreit, oder einen handwerklichen Zugang.

Könnten Sie die ‘die Schraubendrehung weiter’ etwas näher ausführen? Beziehen Sie sich mit dem Begriff auf die Arbeit von anderen Personen? Ich hoffe, das ist nicht zu pedantisch – ich hänge an allen Ihren Wörtern fest.

AC: Jetzt kapiere ich, was Sie wollen. Gewiss, während der englische Begriff dafür ‘turn of the screw’ sich natürlich auf die Novelle von Henry James bezieht – die ich gerade mit großer Begeisterung wegen die alten Amerikanismen darin, die ihr Antlitz ganz frisch zeigen, lese, – zielt Schraubendrehung im Deutschen auf Walter Serner und seine Verwendung des Begriffs im Vorwort zu Letzte Lockerung, das ja sein dadaistisches Manifest war. Serner glaubte, dass das, was diese Schraubendrehung bewirken könnte, eher eine Lockerung als eine Festigung sei – aber allgemeiner auch ist es eine weitverbreitete Anspielung auf ein Bild für (materielle) Dialektik, die Nietzsches berühmte ‘ewige Wiederkunft des Gleichen’ mitschwingen lässt, die nicht die Gestalt eines Kreises, sondern einer Spirale hat. Das Bild scheint mir etwas mit Kinetik zu tun zu haben. Kraft oder Energie wird irgendwie in die Ideen hineingebracht, wenn sie gleichzeitig gedreht, gedrückt oder gezogen werden. René Crevel spricht – ich weiß nicht mehr wo – von einem Podest, den der Denker selbst errichtet, ‘das ihn in die Luft schraubt’, d.h. einen Gedankenpodest, den man unter seinen Füßen aufbaut und der einen weiter und weiter von den Menschen fortträgt. Dieses Bild evoziert bei mir Winsor McCays Figur vom Kleinen Niemand (‘Little Nemo’) und seinem Bett.

Das Bild legt auch ein Stück nahe: Die Distanz und der Spielraum dessen, was man sinnvoller Weise tun – und begreifen – kann mit einem Handgriff. Es macht keinen Sinn, mit der eignen Dichtung zu versuchen, die allgemeine Verfassung der Dichtung weiter drehen zu können, sagen wir etwa um fünf Schraubendrehungen … weil es schlicht ein dummer Sprung wäre. Kein Weg. Keine Kontinuität der Intelligenz.

Billig, scheint mir nun, war nicht eine unbedingt eloquente Art, um dies zu sagen. Es ist in der Tat so wie Sie es eben gesagt haben, eine allzu simple Umkehrung. Ähnlich wie wenn Leute, besonders in einer Podiumssituation, sagen, “bla bla bla, aber das Gegenteil könnte auch der Fall sein.” Sie könnten genauso gut nichts sagen.

Es ist auch ein Widerwille, zurück auf die Pfade zu gehen, auf denen man gekommen ist. Ist das pedantisch genug? Nein?

JB: Ich habe mich gefragt, ob Sie mir sagen könnten, was Sie als dichterische Tugend betrachten? Gibt es so etwas wie eine Meisterschaft in dieser Kunstform? Kann man sie anstreben?

AC: Ja. Ich glaube, es gibt Tugend in der Dichtung – eine gewisse Lockerheit und Vertrautheit, die zu einer Leichtigkeit des Tons oder einer formalen Leichtigkeit führen kann, aber auch zu den erstaunlichsten Manöver mit dem Ochsenkarren, ganz ohne Alternative. Zugleich glaube ich, dass die schönsten Kunstwerke ganz roh sind oder das Ergebnis eines glücklichen Moments darstellen. Anfängerglück. Oder sogar die Schönheit eines Hindernisses, das gefühlt wird und womit man durch die Schwierigkeiten in der Schaffung eines Gedichts hindurch umgeht.

Es gibt bestimmt keine Sicherheit. Meisterschaft kann man nicht haben. Sie zeigt sich im Tun. Ob nun jemand sagt, sie strebe danach oder tut so als täte sie es nicht, das ist nicht so furchtbar relevant. Da ich ja wirklich glaube, dass Dichtung einer exzessiven, eifersüchtigen und abergläubischen Liebe zur Sprache entspringt, eine Beziehung also, die intimer ist als irgendeine Meisterhaftigkeit, und auf der ganzen Linie zu Deformationen führt.

JB: Eine letzte Frage noch, Ann. Versprochen. Ich wollte damit schließen, Sie danach zu fragen, ob Sie uns einen kleinen Einblick geben könnten, worauf Sie momentan fokussiert sind? Mich interessiert, ob Sie an einem Projekt arbeiten oder einem neuen Buch, und – was mir noch wichtiger ist – worauf Sie in thematischer/stilistischer / linguistischer Hinsicht fokussiert sind? Das ist’s. Worauf sind Sie FOKUSSIERT?

AC: Echt schwer zu beantworten. Worauf ich mich als nächstes fokussiere oder konzentriere, weil ich gerade die letzten Korrekturen eines Erzählbandes fertigstelle, der im Herbst (im australischen Frühling) erscheinen soll. Zu sagen, dass sie erscheinen werden, ist vielleicht mehr passend als mir lieb ist. Ich bin sehr neugierig, was passieren wird, wenn diese Erzählungen auf die Öffentlichkeit treffen.

Ich werde vielleicht wieder Sprachstudien aufgreifen, die ich in den letzten Jahren aus dem Blick verloren habe: Russisch und Japanisch. Zu viel, sicher, aber ich kann mich zwischen den beiden Sprachen nicht entscheiden und habe angefangen an beiden zu arbeiten. Und ich will wirklich die Hauptwerke von Hegel und Marx lesen. Aber das beantwortet Ihre Frage nicht.

Ich nehme an, ich werde weiterhin auf Schönheit fokussiert sein, auf die Frage nach den verschiedenen Formen der Schönheit; aber auch auf Fragen von Männlichkeit und Weiblichkeit; was es bedeutet, Schönheit zu lieben; und ob es gefährlich ist für das Denken. Hübsch beispielsweise bedeutet auf Deutsch das, was auf Englisch pretty ist, im Gegensatz zu schön – beautiful. Und mich interessiert es, verschiedenen Klischees zu testen, deutsche oder puritanische, über cuteness oder süß sein, die ernsthaftes Nachdenken verunmöglichen oder ausschließen – besonders nachdem ich in Japan gelebt habe. Ich möchte die generischen Kompensationstheorien oder Dichotomien (wie etwa Intelligenz vs. Schönheit) wiederlegen. Gute Dichtung kann sie wiederlegen, denken Sie nicht?

Aber mein Fokus bleibt, denke ich, ein glühender Lavaklumpen, den man nicht sehen kann, wohingegen meine Resultate, die Informationen, die eigentlichen Gedanken hervorgestoßen werden in kristallisierte Fragmente an die Ränder dieses Fokus, wo es kühler ist.


übersetzt von Paul-Henri Campbell

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